Predigt zu Johannes 3,14-21
Carvoeiro, 16. März 2025
Liebe deutschsprachige Gemeinde hier in Portugal,
zunächst einmal: machen Sie sich nichts daraus, wenn Sie vom vorgelesenen Predigttext kaum etwas behalten haben. Einen Satz kannten Sie vermutlich:
„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“. Johannes 3,16
Ich kannte diese Worte auch – und lernte sie völlig neu kennen,
als mir ein Freund kürzlich folgendes erzählte:
Beim Aufräumen fand er eine alte Bibel, die ihm seine verstorbene Mutter vor Jahren geschenkt hatte und entdeckte darin eine Widmung, die er vorher nie gesehen hatte.
In dieser Widmung war der Vers aus Joh. 3,16 in ostfriesischem Platt aufgeschrieben. Dort steht:
„So’n Hartenstreck hett Gott na disse Welt hadd, dat he sük in sien Söhn verloren gaff, dat all, de an hum glöven, weten wo se hanhören und dat ewige Leven wunnen“.
Der Freund, der auch Pastor ist, verstand nicht was dort stand, recherchierte und rief schließlich sogar in Ostfriesland an, um sich die Stelle übersetzen zu lassen. Und die Plattdeutsche Version liest sich statt der Luther Übersetzung dann so:
„ So einen Herzschmerz hat Gott nach dieser Welt gehabt, dass er sich in seinen einzigen Sohn verloren gab, dass alle, die an ihn glauben, wissen, wo sie hingehören und das ewige Leben gewinnen“.
Schön, oder?!?
Dieser Herzschmerz Gottes taucht in biblischen Texten immer wieder auf
und zeigt einen Gott der berührbar ist:
Er hört die Schreie von Kindern, Frauen und Männern, sieht ihre Tränen
und leidet mit seinem Volk, dass in Ägypten ausgebeutet wird.
Sein Herzschmerz entsteht immer wieder aus seiner Vorliebe für arme und geplagte Menschen und dieser Gott versteht offensichtlich jeden stummgeschlagenen Mund und alle seitlich Umgeknickten.
Dieser berührbare Gott ist fassungslos, wie sein Volk immer wieder vor ihm wegläuft - und sagt dazu:
„ Wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim?
Ich habe euch mehr und mehr geliebt und mein Herz drehte sich um in mir,
als ihr immer wieder vor mir davongelaufen seid und euch an andere Götter gehängt habt“.
Als ich diese Bibelstelle bei Hosea das erste Mal las, dreht sich mein eigenes Herz in mir um und ich dachte: was ist das denn für ein Gott, dessen Herz sich umdreht?!?
Ein Gott, der gleich danach von sich sagt, dass all seine Barmherzigkeit entbrannt ist
und der seinem Volk verzweifelt zuruft:
„Säet Barmherzigkeit und erntet nach dem Maß der Liebe“.
Wenn wir selbst Herzschmerz haben (oder hatten)
und Gott für uns mehr ist als nur ein Wort -
und wir uns dann mit unserem Herzschmerz an Gott wenden –
dann gehen wir genau davon aus:
dass Gott „da ist“. Ansprechbar. Berührbar. Barmherzig und gnädig.
Und uns rettet und aus der Patsche hilft.
Der heutige Sonntag heißt „Reminiscere“ und ist sozusagen der Gedenktag für Gottes Barmherzigkeit.
„Reminiscere“ bedeutet erinnern, gedenken.
Und in Psalm 25, den wir vorhin gemeinsam sprachen, heißt es:
„Erinnere dich an deine Barmherzigkeit, Gott“.
Wie gesagt, im Grunde gehen wir genau davon aus, wenn wir beten.
Andererseits war diese Barmherzigkeit und Gnade Gottes lange Zeit regelrecht vermauert.
Es wurde davon gesprochen, ja.
Aber im Handeln und im gelebten Leben waren Barmherzigkeit und Gnade eher die Ausnahme von der Regel, nicht nur in der Kirche.
Aus meiner Kindheit kenne ich: wenn jemand sagte „Heute wollen wir mal Gnade vor Recht ergehen lassen“, dann bedeutete das: Ausnahmsweise gibt es heute mal keine Härte und Strafe – aber das nächste Mal setzt es was.
Als ich mir das sprachliche Bedeutungsspektrum von Gnade und Barmherzigkeit einmal ansah, hat es mich ziemlich umgehauen. Die Sprachwurzeln von Barmherzigkeit und Gnade haben zu tun mit:
Schoß und Busen.
Mit tragen, halten, pflegen.
Mit dem Herzen bei jemandem sein.
Im Griechischen und Hebräischen gibt es die Mitbedeutungen:
Anmut, Lieblichkeit, Charme.
Ein Gott also, der uns mit Anmut begegnet. Ein charmanter Gott, der uns mit Lieblichkeit entgegenkommt. Und mit seinem Herzen.
Ein Gott mit Herzschmerz. Dem sich die Eingeweide und das eigene Herz im Leib umdrehen. Wie bei einer Mutter, die sich ihrer Kinder erbarmt.
Diese und andere biblischen Bilder Gottes begegnen uns in der sprachlichen Wurzel der Worte Barmherzigkeit und Gnade.
Und auch wenn das vermauert war und es davon so oft nur die Idee gab, aber nicht die Sache selbst;
Sich daran orientieren! Und nicht an einer kalten Maschine aus Korrektheit und Unbarmherzigkeit.
Wenn wir das tun, dann können wir sogar die steilen theologischen Spitzensätze aus unserem Predigttext mit Leben füllen, die unserem persönlichen Erleben erstmal fern erscheinen. Im Predigttext steht:
Christus kam nicht, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten
Deshalb können wir sagen:
Hey, deshalb machen wir nicht dabei mit, über andere zu richten und herzuziehen, sondern wir machen dabei mit, die Welt und andere zu retten.
Wir hören auf, über andere zu reden, sondern sagen stattdessen mehr „Komm rüber!“ und reden mit anderen!
Im Predigttext steht: Christus als das Licht! Und wir können sagen:
Hey, deshalb lieben wir die Finsternis nicht mehr als das Licht, sondern orientieren uns am Licht und richten uns daran auf! Gerade um die Finsternis auszuhalten und uns gegen die Zerstörung der Welt in jeder Form einzusetzen. Ja, die Welt sieht derzeit nicht gerade nach Barmherzigkeit und Gnade aus, gerade deshalb brauchen wir das: uns am Licht auf-zurichten!
Im Predigttext steht: Wer die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht -
Genau, deshalb versuchen wir die Wahrheit zu tun und geben unser Bestes, um jedes Zerbrechen zu verhindern. Das Zerbrechen der Schöpfung und der Welt. Das Zerbrechen von Strukturen, Gemeinden und Nachbarschaft. Das tun und probieren wir in Gott.
Und weil wir wissen, wo wir hingehören, versuchen wir als Christinnen und Christen die Barmherzigkeit Gottes zu spiegeln und gehen barmherziger miteinander um.
Sprechen versöhnlicher miteinander und übereinander, auch weniger durcheinander.
Und bemühen uns darum, selbst etwas an uns zu haben, was der Gnade Gottes entspricht. Eine Haltung mit mehr Anmut, Lieblichkeit und Charme.
Extrem charmante und anmutige Christen, die aus Herzschmerz Gerechtigkeit säen und sich danach sehnen nach dem Maß der Liebe zu ernten: das hätte doch was, oder?!?
Und wenn dann die Leute sagen würden:
Hey, ich habe Heute Christen gesehen, die waren wunderbar leicht und anmutig, die trugen Großzügigkeitsgirlanden vor sich her und tun was sie sagen, Donnerwetter! Das hätte doch was!
Gott will uns gerne so sehen und seine Herzschmerzen würden weniger werden, wenn wir so auftreten. Unsere eigenen Herzschmerzen, glaube ich, werden dadurch auch weniger.
Amen
DEKA – Deutschsprachige evangelisch-lutherische Kirchengemeinde im Algarve. E-Mail:
Vakanzvertreter in: Pfarrerin Christina Gelhaar, Tel.: 918 973 807. Wenn Sie sie sprechen wollen, rufen Sie sie gerne an.
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Wir wünschen allen ein frohes, gutes neues Jahr 2025
Jareslosung 2025 1.Thessalonicher 5,21
Prüfet alles und behaltet das Gute!
πάντα δὲ δοκιμάζετε, τὸ καλὸν κατέχετε
julgai todas as coisas, retende o que é bom
Diese Worte aus dem ersten Thessalonicherbrief begleiten uns als Jahreslosung durch das Jahr 2025. Prüfet alles. Nichts müssen wir hinnehmen, verlangt wird kein Gehorsam und keine unterwürfige Folgsamkeit. Alles darf auf Herz und Nieren geprüft werfen, jeder Stein darf umgedreht werden. Das ist nicht nur ausdrücklich erlaubt, sondern wir werden dazu sogar ermutigt!
Prüfet alles und behaltet das Gute! Das verlangt Fokussierung; denn es ist nicht gleich-gültig, wie wir uns entscheiden und handeln. Es gilt zu prüfen, zu untersuchen, zu analysieren. Was war gut, was ist gelungen? Worauf können wir aufbauen? Was war hinderlich? Was hat geschadet, was dem Wohl anderer gedient? Eine solche Prüfung braucht Zeit, denn nach Möglichkeit soll niemandem unrecht geschehen. Angesichts der medial sich ständig beschleunigenden Welt bleibt zu erinnern: Schnelligkeit ist kein Wert an sich.
Prüfet alles und behaltet das Gute! Als Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde diesen Satz schreibt, gibt es noch kein Neues Testament, keine Evangelien, keinerlei kirchliche Strukturen. Paulus ist auf einer seiner beschwerlichen Missionsreisen im östlichen Mittelmeerraum unterwegs. Er will die Menschen – Heiden wie Juden - von Christus überzeugen. Darum gründet er Gemeinden und besucht die Menschen. Häufig trifft er auf Fragen und Probleme, die den neuen Glauben betreffen: Wie lange müssen wir noch auf die Wiederkunft Christi warten? Was ist mit denen, die schon vor der Wiederkunft gestorben sind? Wer hat in der Gemeinde das Sagen? Gelten die alten Speisegebote noch? Auch in der Gemeinde in Thessaloniki, einer großen Hafenstadt mit Menschen “aus aller Herren Länder” gibt es Fragen. Paulus weiß: Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Sprachen, Lebensgewohnheiten und Religionen beieinander leben, ergeben sich Spannungen beinahe automatisch. Da braucht es Toleranz und Aufgeschlossenheit, Interesse aneinander, guten Willen und Geduld. Man muss sich gegenseitig kennenlernen und miteinander sprechen, einander befragen. Paulus, der ehemalige Christenverfolger und nun Anhänger Jesu Christi, hat am eigenen Leib erfahren,
Dass Menschen gut daran tun, Neuem, Fremdem mit Offenheit zu begegnen. Denn auch andere Meinungen als die eigene, auch andere Einstellungen und Traditionen können ihren Wert haben und berechtigt sein. Nicht alles, wovon man selbst überzeugt ist, was man denkt oder tut, ist gut oder richtig oder taugt gar als Maßstab für andere. Paulus ist davon überzeugt, dass es richtig und wichtig ist, zunächst zu sehen, zu hören und wahrzunehmen; die Vielfalt zu erkennen und anzuerkennen. Erst im zweiten Schritt gilt es zu überlegen, an welchen eigenen Überzeugungen man festhalten will, und was von anderen man sich zu eigen machen will. Die Jahreslosung weitet unseren Blick und macht Mut: Die Welt ist vielfältig, und Vielfalt ist Reichtum. Wer sich mit dieser Vielfalt beschäftigt und wohlwollend prüft, was ihm begegnet, macht sich ein Bild von dem, was und wie andere glauben, leben und lieben. Andere(s) dabei gelten zu lassen zeugt von eigener Selbsterkenntnis und ist der Schlüssel zu einem guten Leben - für sich, für andere und für die Gemeinschaft.
Anne Peters-Rahn, Pfarrerin i.R.
Pfarramt, Urb Sesmarias, Lote 84, 8400-565 Carvoeiro Mob 960244439 Mail: